Im Schatten des Katzentischs
Ich stand am Wegesrand in der Nähe von unserem neuen Häuschen, nicht weit vom Dorf entfernt und sah in die Krone der Kastanie, in die der Wind blies, um mich herum der Weizen, über den er strich und am Ende des Feldes die Zitterpappeln, die ihn brachen.
Unsere seltsamen Vögel hängten sich in den Wind, ohne mit den Flügeln zu schlagen. Wie in einer Gegenfluganlage standen sie hoch über meinem Kopf und hielten Ausschau in die Ferne. Die vier farbigen Vasen, die in den Fenstern unseres alten Hauses die Haupthimmelsrichtungen markierten, hatten wir retten können. Sie standen nun aufgereiht auf dem Fensterbrett im Schlafzimmer der neuen Hütte und erinnerten uns an das Leben, das wir gehabt hatten.
Am Morgen, wenn ich auf Mutters Bettkante saß und die Nase in eine Böe hielt, die eben das angelehnte Fenster ein Stück weiter aufgestoßen hatte, wanderte mein Blick hinaus zum Rand des lichten Waldstücks, das wir nicht betreten wollten. (Unweit dahinter lag die Siedlung, die sie mit mir an der Hand plötzlich und unerwartet verlassen musste.) Ich traute mich kaum hinzusehen und war gleichzeitig zu gebannt, um meinen Blick abwenden zu können. Ich stellte mir vor, dass Bence und Vater noch immer in der Asche unseres Häuschens standen und fassungslos darauf warteten, dass wir kämen, um sie zu holen, aber ich sah niemanden. Mutter fasste mein Kinn, drehte mein Gesicht zu sich und schaute mich mit halb geöffneten Augen an. „Koch uns Kaffee!“, sagte sie dann und schob mich fort.
Nach einem Kaffee mit viel Zucker ging ich ins Dorf. Unsere seltsamen Vögel pickten Körner und Krumen vom Weg. Der Wind brach sich in den Zitterpappeln, in dessen Kronen viele Mistelzweige baumelten. Ich lungerte vor der Schule herum, kaufte mir im Laden eine Tüte Sonnenblumenkerne und spuckte die Schalen vor das Schultor. Die Vögel kamen herbei und suchten in den Schalen nach Resten der Kerne. Ich scharrte mit der Fußspitze auf dem Boden und es staubte. Zwei Schüler meiner Klasse kamen und packten mich hart an beiden Armen. Sie schleiften mich über die Treppe ins Gebäude, ins Klassenzimmer und der Lehrer wedelte mit der Hand: „Nach hinten, nach hinten!“ Die Jungen ließen mich los und ich setzte mich auf die letzte Bank. Ich saß dort starr vor Schreck den übrigen Morgen.
Mittags war ich wieder zu Hause. Mutter hatte Brot und Speck auf den Tisch gestellt. Wir aßen zusammen, ohne zu sprechen. Ich schnitt eine Zwiebel auf und Tränen rollten über meine Wangen, auch über Mutters Wangen rollten welche. Sie drückte mich an sich, nahm mich und wir schliefen einige Zeit am Nachmittag. Sie hielt mich im Arm. Später als sie aufstand, rollte sie mich in ihr Laken ein und legte mich in den Korb unter den Tisch.
Es kamen zwei Frauen aus der Stadt in grünen Kostümen, sie brachten uns Papiere und diskutierten mit Mutter, als sie schließlich gingen, wirkte Mutter gelöster, alles schien geregelt. Und als der Bürgermeister zu Besuch kam, tauschte Mutter die Kaffeetasse gegen ein Weinglas, sie lachte und war froh, er erhob das Glas mit ihr, schob sie aber durch die Küche hindurch in unser Zimmer. Ich sah, wie sie sich an ihm vorbei zurück in die Küche drängeln wollte, hörte, wie sie schrie und der Bürgermeister schimpfte, dann war es still, vielleicht quiekten sie wie die Schweine. Die alte Nachbarin kam herein, zog mich an meinem Arm unter dem Küchentisch hervor und scheuchte mich vor die Tür.
Nah am Ufer rauschte das Schilf, neigte sich unter den starken Böen, die vom Berg über den See herüberzogen. Einige Arbeiter waren auf den See hinaus gefahren, um die Reusen einzuholen. Die anderen standen mit mir am Ufer und warteten. Wir sahen die große Dunkelheit des Berges, der die Sonne verschluckt hatte, ein Dämmern leuchtete noch hervor. Ich tauchte meinen Rock in das Wasser und drehte mich schnell einige Male, sodass die Wassertropfen vom Saum perlten. Unsere Arbeiter wendeten mir ihre Blicke zu und beneideten mich um meine leichten, weichen Bewegungen, das sah ich in ihren Augen aus stecknadelgroßen Glasperlen, die so lebendig wirkten. Ich schaute auf ihre metallenen Schädeldecken, auf die gestanzten Nähte anstelle eines Scheitels und drehte mich noch einige Mal mehr, um ihnen eine Freude zu bereiten. Der Wind wurde schwächer, das ungelenke Quietschen ihrer Gelenke immer lauter. Als ich den kleinen Kutter näherkommen sah, ging ich, ohne weiter abzuwarten in die Hütte und verkroch mich an Mutters Fußende. Im Traum sah ich die wilden Flammen aus den Fenstern unserer Hütte schlagen. Ich hörte einen Knall und noch einen Zweiten, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich wollte so gern in die Hütte laufen und Bence holen. Unsere seltsamen Vögel schnappten nach mir, hoben mich hoch und trugen mich über das Wäldchen. Mutter schrie in den Himmel, die Flammen leuchtete in ihrem Gesicht.
Als Mutter am frühen Morgen noch blau war, lachte sie zu laut im Hof und nörgelte an den Alteingesessenen herum. Ich blieb im Bett, streckte mich lang aus und schaute auf die Vasen. Ich wünschte, ich hätte noch gewusst, wohin die Vasen zeigen mussten, damit wir wieder die Spur unseres Lebens finden konnten, doch ich sah immer nur die Ruine unseres Häuschens.
Mutter zog der alten Nachbarin ein Messer aus der Tasche und fuchtelte wild umher. Keiner wusste, war es Spaß, war es Ernst. Auch ich wusste es nicht, als ich hinter der Scheibe sah, was vor sich ging. Die Nachbarin kannte meine Mutter nicht gut und holte die Polizei. Einer der Arbeiter schubste mich vom Fenster weg, dabei schürfte seine eiserne Hand mir etwas Haut von der Schulter, aber es blutete kaum. Ich wühlte in der Kommode zwischen den Waschlappen und zog unsere Papiere und die der Arbeiter hervor.
Der oberste Polizist war selbst noch ein halbes Kind, aber er verstand es, seine Mimik und seine Gesten einzusetzen. Wir parierten umgehend und ich reichte ihm die eingeforderten Ausweispapiere. Wir durften hier bleiben, denn sie erinnerten sich daran, was uns hinter dem lichten Waldstück angetan worden war (damals hatten sie ungerührt auf die Asche unseres Häuschens gepisst), aber Mutter musste sich bei der Nachbarin entschuldigen. Sie pflückte einige Blumen im Straßengraben und reichte sie der Nachbarin über den Zaun. Sie fielen auf den morastigen Boden des Hofes.
Mutter war selbst erschrocken über ihr Verhalten, sie zupfte am Bündchen ihres Pullovers. Später stocherte mit dem Feuerhaken so stark in der Glut, dass sie fast erlosch. Ich ging zu ihr und strich ihr über die kurzen Locken. Sie sah zu mir auf und schüttelte den Kopf. „Es tut mir so leid“, sagte sie. „Wir können doch keinen Ärger gebrauchen“, sagte sie. Aber der fleißige Beamte kam noch einmal wieder und schikanierte Mutter wegen einer unbezahlten Stromrechnung. Fast eine Stunde ging das vor der Tür hin und her. Ich zündete die Lichter der Vasen an.
An diesem Abend sang sie mir unser altes Nachtlied. Es erinnerte uns beide an das Leben, das wir gehabt hatten. Ich weinte leise. „Schlaf jetzt!“, sagte meine Mutter. Als das Rauschen des Windes zu laut wurde und das Fenster gegen den Rahmen klapperte, drückte meine Mutter es zu und löschte die Lichter in den Vasen.
In Erinnerung an Robika und seinen Vater Róbert Csorba, Tatárszentgyörgyi 2009.
(2013)
erschienen in: punktum – Verbandszeitschrift des SBAP, Zürich